Ein kleines bisschen Debatte
Bis zum 15. November sind die Kubaner aufgerufen, über eine neue Verfassung zu debattieren. Die Alleinherrschaft der KP wird nicht angetastet – das einzige polarisierende Thema ist die Homoehe.
„Mein Wille – meine Verfassung“ steht auf großen Aufstellern in Havanna. Die Kubaner sollen sich an der Verfassungsreform beteiligen und im ganzen Land über den Entwurf debattieren – so der Wille der kommunistischen Partei- und Staatsführung.
Staatsbetriebe geben ihren Mitarbeitern dafür einige Stunden frei: In einem Krankenhaus blättern Ärzte und Schwestern im Heft mit dem Verfassungsentwurf und lauschen den Ausführungen der Parteileitung. „Wir Kubaner werden das alles ratifizieren“, sagt eine Krankenschwester. “ Es steht ja alles schon geschrieben. Auch wenn es andere Vorschläge gibt – jetzt geht es darum, umzusetzen, was schon feststeht.“
Für Kubas Präsident Díaz Canel kommt eine Abkehr vom Sozialismus nicht in Frage.
Privateigentum …
Bereits im Vorwort des Textes wird klar, wohin der Einparteienstaat in den nächsten Jahren gesteuert werden soll: Der sozialistische Charakter des politischen und des wirtschaftlichen Systems bleibt erhalten, ebenso die Führungsrolle der Kommunistischen Partei. Das Recht auf Privateigentum soll verbrieft werden, die vielen Selbstständigen und ausländische Investoren dadurch Rechtssicherheit erhalten.
… aber kein Kapitalismus
Aber dem Kapitalismus hatte der neue Staatschef Miguel Díaz Canel schon kurz nach seiner Ernennung im April eine Absage erteilt. Sein Vorgänger, Mentor und weiterhin Parteichef Raúl Castro, steckt den Rahmen des Veränderbaren klar ab: „Es ist ein wichtiger politischer und demokratischer Prozess, dessen Erfolg in erster Linie von der engagierten Beteiligung aller Kubaner abhängt“, sagt er. „Unter der Führung der Kommunistischen Partei sollen alle verstehen, wie wichtig die Veränderungen sind. Der Fortbestand des Sozialismus und der Revolution ist garantiert.“
Regierungszeiten von fast einem halben Jahrhundert, wie die von Raúls Bruder Fidel Castro, wird es nicht mehr geben. Ein Staatschef darf künftig nur einmal wiedergewählt werden, zudem wird seine Macht eingeschränkt: Neben dem Präsidenten und dem Staatsratsvorsitzenden soll ein Ministerpräsident mitregieren.
Gleichgeschlechtliche Ehe als Streitpunkt
Mariela Castro Espin setzt sich seit Jahren für die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten ein.
Von der Tochter Raúl Castros stammt ein Punkt, der die Kubaner polarisiert und dazu mobilisiert, an den Diskussionsveranstaltungen teilzunehmen: Mariela Castro, Parlamentsabgeordnete und Direktorin des Instituts für Sexualkunde, hat das Recht auf Ehe für Schwule und Lesben in den Verfassungsentwurf eingebracht.
Darüber sind in den Foren kritische Meinungen zu hören: „Gott hat Mann und Frau erschaffen, damit sie sich fortpflanzen“, erklärt ein Mann. „Wenn wir den Fehler begehen, die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zuzulassen, werden wir in einigen Jahren merken, dass wir uns geirrt haben und es kein Zurück gibt.“
Angst vor offener Kritik
Sonst gibt es wenig Kritik. Für den Oppositionellen Hildebrando Chaviano ist klar, warum: „Viele haben Angst davor, ihre Meinung zu sagen. Sie diskutieren nicht kritisch – weder in den Nachbarschaftskomitees noch am Arbeitsplatz. Sie überlegen sich, was ihnen passieren könnte, wenn sie sagen, was sie wirklich denken.“
Doch die Partei- und Staatsführung hat sogar die Millionen Kubaner, die die Insel seit der Revolution 1959 verlassen haben, dazu aufgerufen, im Internet mitzudiskutieren. Unklar ist, inwieweit ihre Anregungen in der neuen Verfassung berücksichtigt werden.
Die Phase bis zum Referendum im Februar ist ein Stimmungstest. Viele Kubaner sind seit dem Ende der Castro-Ära und der abgebremsten Annäherung an die USA verunsichert. Die Debatten über die neue Verfassung geben ihnen wenigstens das Gefühl, ihre Zukunft mitzugestalten.