Nichts geht Kennern über kubanischen Tabak, etwa eine Cohiba Behike. Die 45-Euro-Zigarre gibt es Havannas Geschäften – und in Hinterhöfen. Dort sah sich Buchautor Jürgen Schäfer um und war überrascht.
Ein Wispern genügt, ein Lockruf. Die Sonne steht hoch über Havanna, wirft ein Gleißen auf die Stadt, und so ist der Absender der Botschaft im Schatten des Hauseingangs zunächst nicht auszumachen. „Montecristo, Cohiba“, raunt die Stimme. Als ich stehen bleibe und irritiert ins Dunkel starre, tritt ein muskulöser junger Mann in T-Shirt und Shorts auf die Straße, setzt die Sonnenbrille auf, sieht sich lässig um und sagt dann: „Good Price. Direkt aus der Fabrik.“
Wir sind nur ein paar Häuserblocks vom Partagás-Palast entfernt, der bekanntesten Zigarrenmanufaktur Kubas. Ich folge dem Wisperer durch den Hauseingang ins Innere. Die bunten Fliesen auf dem Boden zeugen vom Reichtum einstiger Kolonialherren, doch jetzt blättert nachlässig aufgetragene Farbe von den Wänden, und aus dem Sicherungskasten im Flur quillt ein schmutzstarrer Kabelverhau. Es riecht nach ungefegten Ecken und verkochten schwarzen Bohnen.
Der junge Mann führt mich am Ende des schmalen Durchgangs in ein fensterloses Zimmer, in dem Neonlampen surren. Auf dem Sofa sitzt eine Frau mit langen braunen Beinen und Lockenwicklern im Haar; sie hebt den Blick nicht vom Display ihres Mobiltelefons, als wir eintreten. Neben ihr auf dem Sofa stapeln sich Holzkistchen. Die Aufdrucke auf den Kistchen versprechen dicke Churchills von Romeo y Julieta, feingliedrige Montecristo und sogar die neue Cohiba Behike, die pro Stück sagenhafte 45 Euro kosten soll. Cohiba Behike? Die sind doch kaum zu kriegen.
„Die sind echt“, behauptet mein Gegenüber. „Mein Cousin arbeitet in der Fabrik.“ Er zündet sich eine Filterlose an. Und, ist die Behike so sagenhaft gut, wie alle behaupten? „Ich rauche keine Zigarren“, sagt der Verkäufer, wenigstens das ist ehrlich. 40 kubanische Pesos soll die Kiste kosten, umgerechnet 25 Euro, doch die Behike sind garantiert gefälscht, trotz schillerndem Hologramm auf dem Etikett. Stattdessen nehme ich lieber zwei einzelne Churchills, ein stolzes Format, und verbleibe mit dem Muskelmann so, dass ich wiederkomme, falls die Zigarren gut sind. Unwirsch schiebt er die fünf Pesos in die Hosentasche, führt mich zurück durch den Flur und entlässt mich grußlos in die Mittagshitze Havannas.
Zurück in der Wohnung, in die ich mich eingemietet habe, bitte ich meine Vermieterin um ein Küchenmesser. Ich schneide der einen Zigarre die Spitze ab und zünde sie mit dem Gasfeuerzeug an, bis sie gleichmäßig brennt.
Sie zieht gut, fast sogar zu gut, und schmeckt nach wenigen Minuten bereits ein wenig bitter. Um dem Problem auf den Grund zu gehen, begehe ich ein Sakrileg: Ich setze das Messer an der zweiten Zigarre an und schlitze sie der Länge nach auf. Als das Deckblatt unter der Messerklinge aufplatzt, fallen Tabakkrümel heraus, eingewickelt in zerschlissene Blätter.
Die Zigarre wurde aus Abfällen zusammengerollt, in irgendeiner Hinterhofwerkstatt Havannas.
Rund 300 Arbeitsschritte sind notwendig, um eine echte Havanna-Zigarre zu fabrizieren. Alles muss komplett von Hand gemacht werden, kaum ein anderes Genussmittel verlangt eine so aufwendige Produktion. Trotzdem besteht zum Beispiel die große Zigarrenmarke Romeo y Julieta seit fast 150 Jahren.
Sie hat einen Unabhängigkeitskrieg und amerikanische Besatzung überlebt, eine Revolution und sowjetische Berater, war Privateigentum und Volkseigentum. Noch heute ist jede fertige Churchill ein Sieg über die Unbilden des tropischen Klimas, über Treibstoffmangel, Republikflucht und allgegenwärtige Tabakdiebe.
Die meisten Betriebe sind in Familienbesitz
Der Weg zu den Ursprüngen jeder echten Havanna führt ins Vuelta Abajo, jener Region im Westen Havannas, auf deren Feldern der wahrscheinlich beste Tabak der Welt wächst. Es ist eine Landschaft von biblischer Schönheit, mit weiten Tälern und buckligen Karstbergen, den mogotes, die im Morgennebel wie moosbewachsene Mammuts am Horizont vorüberzuziehen scheinen. Die Bauern bestellen ihre Felder hier mit dem Ochsenpflug, reiten aufrecht auf sattellosen Pferden, mit der Machete am Gürtel.WERBUNG
Als Fidel Castro in den 60er-Jahren die Landwirtschaft verstaatlichte, ließ er die Felder der Tabakbauern unangetastet; die meisten sind noch immer in Familienbesitz. Staatsbetriebe taugen nicht zur Tabakpflege. Während das Zuckerrohr, der zweite Reichtum Kubas, wie Unkraut aus der Erde schießt, müssen die Tabakstauden einzeln gehegt und gepflegt werden, an baumwollenen Fäden gezogen, mit Gaze vor der Sonne geschützt. Um Tabak zu ziehen, sagen sie hier, musst du dich mit der Pflanze verheiraten.
Allerdings kontrolliert der Staat das Saatgut in eigenen Aufzuchtstationen. Die unscheinbaren Staatsfarmen sind nur durch einen Zaun geschützt; bei einem Besuch vor Jahren schüttete mir der diensthabende Ingenieur Mario Gil ein paar mikroskopisch kleine Samen auf die Hand und meinte: „Hier, damit kannst du in der Dominikanischen Republik viel Geld verdienen.“ Es klang resigniert; Gil wusste, dass jede neue Sorte, die er hier heranzog, binnen kürzester Zeit auch bei den Konkurrenten landen würde.
Den entscheidenden Unterschied machen aber nicht die Pflanzen, sondern die Erde, das „Terroir“, wie Experten Boden und Mikroklima in Anlehnung an die Sprache der französischen Winzer nennen. Im Vuelta Abajo sind die Bedingungen eigentlich nicht ideal für die Tabakpflanze, das Klima ist trocken, der Boden sandig. Das macht die Hege umso schwieriger, zwingt die Pflanzen aber, tiefer zu wurzeln als gewöhnlich. Und in den tieferen Erdschichten erschließen sich die Mineralien, die den Blättern Struktur und Aroma geben.
Die Aussaat beginnt im September, nach dreißig Tagen werden die Setzlinge einzeln umgepflanzt. Haben sie Hurrikane und Winterstürme überstanden, wächst die Staude auf rund zwei Meter Höhe heran. Bereits hier unterscheiden die Bauern zwischen den Pflanzen, die später Deckblätter für die Zigarren ergeben, und den kräftigeren Füllblättern. Die Ernte zieht sich über anderthalb Monate hin: Denn statt wie beim Zuckerrohr einfach die Pflanze umzuschlagen, dürfen beim Tabak nur alle paar Tage zwei bis drei Blätter vorsichtig gepflückt werden.
Schon vor der Produktion durch dutzende Hände gegangen
Diese Blätter werden gebündelt, in Trockenhäuser gehängt, dann 30 Tage zur Fermentation gestapelt, dann erneut getrocknet. Am Ende sind die Blätter trocken, aber elastisch und von gleichmäßiger Farbe, wenn sie in Palmblätter verpackt nach Havanna verschickt werden. Sie sind dann schon durch Dutzende Hände gegangen, bevor die Produktion der Zigarre überhaupt begonnen hat.
Es ist nicht bekannt, auf welche Art die Taíno-Indianer ihren Tabak züchteten, doch sind sie wohl diejenigen, die das Rauchen erfunden haben. Als Christoph Kolumbus auf Kuba landete, sogen die Einheimischen Rauch aus zusammengerollten Blättern, die sie an einem Ende entzündet hatten. Sie rauchten bei religiösen Zeremonien, aber wohl auch aus Freude am Genuss. Kolumbus selbst schenkte dem keine Beachtung, doch der mitgereiste Rodrigo de Jerez brachte Tabak mit zurück nach Spanien. Als er dort zu rauchen begann, denunzierte ihn seine Frau bei der Inquisition: Wer konnte wohl einem Menschen die Gabe verleihen, Rauch zu spucken – wenn nicht der Teufel? Als Rodrigo de Jerez sieben Jahre später freikam, war Rauchen längst en vogue, und Tabak breitete sich in Europa und dann in der ganzen Welt aus.
Die Spanier ließen sich von den Taíno rasch in der Kunst der Tabakzucht unterweisen, bevor sie das Volk fast komplett durch Sklaverei, Seuchen und Hunger auslöschten. Im 18. Jahrhundert entstanden die ersten Zigarrenmanufakturen in Havanna, 100 Jahre später gab es 1217 davon auf ganz Kuba, davon allein 516 in Havanna, die für den Export produzierten. Aus dieser Zeit stammen einige der heute noch bekanntesten Marken, etwa die Partagás, die 1827 gegründet wurde, H. Upmann (1844) und Romeo y Julieta (1850). Schon damals wurden übrigens falsche Zigarren in Hinterhoffabriken gerollt – sogar das Fälscherhandwerk hat hier Tradition.
Heute sind in Havanna nur noch gut eine Handvoll Zigarrenmanufakturen übrig. Die größte ist La Corona nahe dem Platz der Revolution, ein gesichtsloser Industriebau; doch mit industrieller Produktion hat die Fertigung der Havannas nichts zu tun: Totalmente a mano, komplett von Hand, werden die Zigarren fabriziert. Hier in der Manufaktur werden die Ballen aus dem Vuelta Abajo angeliefert und entpackt, dann wird der Tabak sortiert und den gut 300 Drehern (die meisten sind Frauen) zugeteilt.
Die Tabakmischung aus hellen und dunklen, leichten und starken, milden und würzigen Blättern ist für jede Marke ein individuell und streng gehütetes Geheimnis der staatlichen kubanischen Tabakbehörde. Die Varianten sind unzählig, allein für die Farbe der Deckblätter können geübte Sortiererinnen 64 verschiedene Farbtöne und Schattierungen unterscheiden.
Auf einem Podest über den Arbeitern ist ein weiterer Arbeitsplatz eingerichtet, einzigartig auf der Welt: ein Stuhl, ein Tisch, ein Mikrofon. Hier nimmt zur Morgenschicht der Vorleser Platz, um die Dreherinnen mit sonorer Stimme zu unterhalten. Vorgelesen werden Nachrichten aus der Tageszeitung „Granma“, aber auch Liebesromane und Weltliteratur: Der Roman „Paradiso“ des großen kubanischen Literaten José Lezama Lima bietet den Arbeiterinnen fünf Monate Unterhaltung.
Die Tradition des Vorlesens ist mehr als hundert Jahre alt; Zigarrendreher galten stets als „Intellektuelle des Proletariats“. Auch deshalb waren sie im kubanischen Befreiungskrieg eine der Stützen des Widerstands gegen die spanischen Kolonialherren.
Die Arbeit der Dreherin, der torcedora, hat sich in über hundert Jahren nicht verändert. Ihre Werkzeuge sind ein Schneidebrett, das Messer zum Zuschneiden der Blätter und Fingerspitzengefühl. Jede Dreherin rollt aus Einlageblättern, Umblatt und Deckblatt pro Tag zwischen 60 und 175 Zigarren, je nach Format.
Kennedy bunkerte Zigarren wegen des Embargos
In La Corona werden mehr als ein halbes Dutzend verschiedene Marken produziert. Hätte Fidel Castro sich durchgesetzt, wäre diese Vielfalt längst Geschichte.
Nach der Revolution von 1959 wollte Castro alle Marken in einer einzigen „Volkszigarre“ zusammenführen, merkte aber schnell, dass er auf die Devisen aus dem Export angewiesen war. Zudem war Castro selbst leidenschaftlicher Raucher. 1963 bekam er von seinem Leibwächter eine Zigarre geschenkt, die dessen Freund gerollt hatte und die Castro so gut schmeckte, dass er eine eigene Fabrik dafür gründen ließ. Zunächst waren diese „Cohibas“ Diplomaten und befreundeten Staatsoberhäuptern vorbehalten; erst 1982 kamen sie in den freien Verkauf. Nicht allerdings in den USA, wo kubanische Zigarren wegen des Wirtschaftsembargos illegal waren.
Kennedy wusste wohl, wem dieses Embargo Schmerzen zufügen würde: Bevor er 1962 seine Unterschrift unter das Gesetz zum Handelsverbot mit Kuba setzte, wies er seinen Sekretär Pierre Salinger an, binnen eines Tages mindestens tausend Petit Upmanns zu besorgen, die Kennedy dann im Weißen Haus bunkerte.
Pauschaltourismus in der Tabakregion
Die kubanische Planwirtschaft hat den Sprung aus der Agrar- in die Industriewirtschaft bis heute nicht geschafft. In Pinar del Rio arbeitet man noch mit Ochs und Pflug. Jetzt kommt das 21. Jahrhundert in der Region an – mit Sandalen und Teleobjektiven.
Über Jahre blieb die Produktion kubanischer Zigarren einigermaßen konstant, doch Ende der 90er-Jahre setzte plötzlich ein Boom ein, dem die Produktionskapazitäten in Havanna nicht gewachsen waren. Hollywood entdeckte das Zigarrenrauchen, Filmstars wie Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger und Sharon Stone zierten Titelbilder der Rauchermagazine, die dick wurden wie Versandhauskataloge. Zigarrenläden mussten Kunden mit leeren Händen wegschicken, bis Fidel Castro beschloss, die Produktion von nicht einmal 100 auf 300 Millionen Stück pro Jahr zu erhöhen. Die Manufakturen heuerten Personal von der Straße an, bildeten Dreherinnen in neunmonatigen Crashkursen aus. Die Läden waren wieder voll, doch jetzt konnte man sich an den Cohibas hohlwangig saugen, und die Kunden brachten die Zigarren freiwillig wieder zurück. Wutentbrannt.
Inzwischen ist der Boom abgeebbt, die Qualität besser als seit über 20 Jahren. Neue Märkte erschließen sich in China und Russland, überall sonst sind die Raucher auf dem Rückzug. Trotzdem sind Sondereditionen echter Havannas schnell ausverkauft, wie guter Wein kann auch eine gut gelagerte Zigarre mit der Zeit Geschmacksnuancen zulegen. Auf Auktionen werden für solche Editionen bis zu 500 US-Dollar bezahlt – pro Zigarre.
So viel Geld muss niemand ausgeben für eine anständige Havanna. Enttäuscht vom bitteren Nachgeschmack der gefälschten Churchill lasse ich am nächsten Tag den Schwarzhändler im Hauseingang stehen, gehe ein paar Schritte weiter zum Laden der Partagás-Manufaktur und kaufe mir eine Por Larrañaga, eine der ältesten Marken Kubas, wenig bekannt und als Panetela eine würzige, kräftige Nachmittagszigarre. Ich setze mich in den Park gegenüber dem kubanischen Kapitol und nehme mir eine knappe Stunde Zeit für das Ritual des Rauchens.
Zigarren sind die ideale Droge für Schreiber, befand der Schweizer Schriftsteller Hermann Burger: „Dieses allmähliche Sicheinnebeln, dieses Gestaltwerden in den Schwaden ist für mich das Urbild schöpferischer Tätigkeit.“ Burger bekämpfte mit Zigarren seine Depression (und verlor, er nahm sich das Leben).
Mark Twain, der mehr als 20 (!) Zigarren am Tag rauchte, hielt sie „für die ergiebigste Quelle nachhaltiger Erleuchtung“. All das kann eine Zigarre sein: im Kapitalismus ein Symbol für Macht und Wohlstand, die Belohnung des Siegers. Feministinnen missfiel sie als phallisches Symbol der Männerherrschaft. Diese Deutung wollte ausgerechnet der Vater der Psychoanalyse, der am Tag eine halbe Kiste leer paffte, nicht gelten lassen. „Manchmal“, knurrte Sigmund Freud zwischen zwei Rauchschwaden, „ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre.“