Die Kubaner stimmen am Sonntag über eine neue Verfassung ab. Am wichtigsten ist ihnen dabei: dass die Homo-Ehe nicht eingeführt wird.
Die Zeiten, in denen in Kuba alles von oben bestimmt wurde, sind vorbei. Am Sonntag sind acht Millionen Kubaner zur Abstimmung über eine neue Verfassung aufgerufen. „Mit allen und zum Wohle aller“, heißt es im ersten Artikel, wobei die Verfassungsväter schon darauf geachtet haben, dass am Wohlergehen der Kommunistischen Partei nicht gerüttelt wird. Sie ist und bleibt die einzige maßgebliche politische Kraft im Land. Für kubanische Verhältnisse ist dennoch einiges in Bewegung.
Falls die neue Magna Carta im Volk eine Mehrheit findet, was niemand ernsthaft bezweifelt, dann wird sie die sozialistische Verfassung von 1976 ersetzen, die laut Staatspräsident Miguel Díaz-Canel „nicht mehr den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen des Landes“ entspricht. Spätestens mit dem Tod Fidel Castros im Jahr 2016 starb auf Kuba auch die systematische Realitätsverweigerung. Künftig werden etwa der „Privatbesitz“ und – in eingeschränktem Umfang – auch der „freie Markt“ verfassungsrechtlich geschützt. Außerdem wird die Amtszeit des Staatspräsidenten auf zehn Jahre begrenzt. Dahinter steckt offenbar die Einsicht, dass eine Karriere wie die von Fidel Castro, der ein halbes Jahrhundert lang regiert hatte, nicht immer zum Wohle aller beigetragen hat.
Interessanter als der Verfassungstext selbst ist aber die Art und Weise wie er zustande kam. Monatelang durften die Kubaner in Bürgerforen über einen ersten Entwurf diskutieren. Es war auch ein Lehrstück über die Tücken von demokratischen Prozessen in einem weitgehend autoritären Staat. Denn es zeigte sich, dass die neue Staatsführung an einigen Stellen zu mehr Fortschritt bereit war als das kubanische Volk erlaubte. Nicht etwa die Wirtschaftsformen, die vorsichtige Dezentralisierung der Macht oder die Frage, ob der Kommunismus als Staatsziel erhalten bleibt, bestimmten die Debatte, sondern der Versuch, die Homo-Ehe einzuführen.
Die Kirchen machten Front gegen die Einführung der Homo-Ehe
Die bisherige Verfassung definiert die Ehe als eine „Vereinigung zwischen Mann und Frau“. Im ersten Entwurf der Verfassungsreform wurde daraus eine „Vereinigung zweier Personen“. Dahinter steckte zweifellos der Einfluss von Mariela Castro, 56, der führenden Aktivistin für die Rechte von Schwulen und Lesben in Kuba. Castro kämpft als Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung seit vielen Jahren für die Homo-Ehe. Am Ende setzte sie ihre Einführung vermutlich auf dem kurzen Dienstweg durch. Ihr Vater Rául Castro hat als der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei weiterhin in allen wesentlichen Fragen das letzte Wort. Theoretisch jedenfalls.
In diesem Fall hat sich sein Wort als das vorletzte erwiesen. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde der Passus zur Homo-Ehe wieder gestrichen. Nach Behördenangaben (und die sind in Kuba immer sehr akribisch) gingen 192 408Meinungen zu diesem Thema ein, wovon sich 158 376 gegen die Homo-Ehe aussprachen. Vor allem die in Kuba immer mächtiger werdenden evangelikalen Kirchen machten dagegen Stimmung. Mariela Castro schimpfte: „Religiöse Fundamentalisten versuchen die Regierung zu erpressen.“ Und auf den ersten Blick scheint ihnen das tatsächlich gelungen zu sein. Castro deutet das Ergebnis dennoch als Fortschritt, denn die Frage, was genau eine Ehe ist, bleibt in der neuen Verfassung offen, sie soll demnächst in einem separaten Familiengesetz geregelt werden.